Simone Maria Dietz M.A.
Kunstfilter Karlsruhe

Zwischen Raum und Farbe

Blatt für Blatt lagern die Papiere übereinander, die die Künstlerin Ingrid Brütsch in intensiven Arbeitsprozessen entwickelt hat. Sie strukturieren, geben Raum und assoziieren durch ihre individuelle Farbigkeit die vielfältigsten Landschaften. Es ist eine Leidenschaft im Umgang mit dem Material, die Fähigkeit, Oberflächen und deren Beschaffenheit aufzugreifen und sie durch Farbe auszudrücken, mit der die Werke der Malerin gekennzeichnet sind, und die einen Betrachter unwillkürlich in die verschiedenen Ebenen einbinden.

Ein erster, entscheidender Schritt ist die Auswahl der verschiedenen Bögen. Ingrid Brütsch verwendet Papiere unterschiedlichster Beschaffenheit, vielfältigster Struktur und eigenem Charakter. Ein dünner Farbauftrag, dessen Nuancen sich aus dem impulsiven Schaffensprozess erschließen, gestaltet die malerische Oberfläche. Vielfältige Spuren der Arbeitsweisen, wie das Verstreichen des Pinsels, das Fließen der Farbe oder das Erhalten der Papierstruktur, bleiben dabei sichtbar. Jeder Bogen entwickelt dadurch in seiner eigenen Komposition bereits eine Räumlichkeit und Tiefe, die durch die unterschiedlichen Farbdichten einen Kontrast, eine Spannung erzeugen. Diese farblich gefassten Blätter bilden nun den Ausgangspunkt der weiteren Gestaltung. Durch mehrfaches Zerreißen erreicht die Künstlerin divergente Kantenverläufe von klaren, harten Schnittstellen bis hin zu ungleichmäßigen Linien, die partiell selbst die Papierschichtung aufbrechen. Wie die Ideen zu einer Komposition, die Themen eines Motives geben sie die Assoziationen für die künstlerischen Ausformung …

Die nun folgende Schichtung der einzelnen Papierfragmente ist für Ingrid Brütsch ein ebenso intensiver Arbeitsprozess wie zuvor das Anlegen der malerischen Komponenten. Aus Blättern mit verschiedenen Farbklängen, mit korrespondierender wie gegenläufiger Haptik, aus hoch- wie querformatigen Bruchstücken entsteht eine völlig neue, eigenständige Komposition. Durch Zusammenschieben, Überlappen, durch die vorhandenen Konturen und Bewegungen entwickeln sich Räume und Flächen, die im Betrachter unweigerlich Verbindungen zu landschaftlichen Vorbildern hervorrufen.

Die so entstandenen Szenerien erzeugen eine deutliche Spannung, einen Dialog zwischen Weite und Enge, Helligkeit und Schattenfeldern, zwischen warmen, klaren Farbakkorden und kalten, neblig undurchsichtigen Grauzonen. ….

Die Arbeiten Ingrid Brütschs ermöglichen ein Beschauen, ein Durchwandern der übereinander gelagerten, farbigen Papierfragmente, sie zu hinterfragen, sie zu erfassen, ihre Natur zu erschließen und letztlich die eigene Landschaft zu erkennen.

Florian Adler
FLORIANADLERFOTOGRAF

Zu den Arbeiten von Ingrid Brütsch

Es packt mich als Betrachter von Kunstwerken immer das besonders, was kreative Berührungspunkte mit eigenem optischen Erleben schafft. Und da findet sich in den Arbeiten von Ingrid Brütsch viel Verbindendes.

In ihren Auseinandersetzungen mit Landschaft trifft man auf großartige Dichte, die niemals „herumpingelt“ oder nur ästhetisiert. Sie geht mit grobem Arbeitsmaterial an die Sache, eine Tatsache, die zum Teil fast explosive farbliche und formale Bildsprache provoziert. Abstrahiert betrachtet, stimmen Farben und Erleben in ihren Landschaften mit den intensiven, leider immer nur sekundenschnellen Eindrücken überein, auf die ich zuweilen in Landschaft treffe. Man spürt in ihren Bildern den Wind, die streifende Sonne, regennasse Luft und immer neue Landschaftsformationen, die von fast monochrom wirkenden Stimmungen bis hin zu Farbexplosionen führen. Insgesamt auf der Fläche betrachtet, entstehen wundersam abwechslungsreiche, aufregende und immer von neuem spannende Farbigkeiten, wenn man sich tief in diese Bilder einfühlt …

Doch halt, spontanes Einfühlen in diese Arbeiten reicht bei weitem nicht aus, will man ihnen gerecht werden. Diese Landschaften entstehen aus unterschiedlichsten, zerrissenen Papierresten, die die Künstlerin zusammenfügt. Genaues Betrachten weist ihre Arbeiten als eine Art Relief aus mit unterschiedlichen Oberflächentiefen, Höhen und Ansätzen. Die so entstehende Plastizität schafft den besonderen Zugang  zu den Stimmungen kurz vor Sonnenuntergang die man in knappen  Momenten erlebt, oder zum frühen Morgenlicht. Die Arbeitstechnik verleiht den Werken zusätzlichen, eigentümlichen Reiz.

Fantasie ist angesagt, wenn man ihre Landschaftskollagen betrachtet. Da erkennt man zwischen zusätzlichen Pinselstrichen Landschaftsdetails, die eigentlich so nur in der ureigensten Fantasie des Betrachters entstehen können.

Besonders die annähernd monochrom angelegten Arbeiten lassen entdecken, was den meisten Menschen beim Naturerlebnis eigentlich immer verborgen bleibt: sensible Farbabstufung, die nur aus Licht und Schatten besteht und mit diesem scheinbar so geringen Aufwand solch meisterhafte Werke schafft. Auch die farblich „explosiver“ angelegten  Werke von Ingrid Brütsch besitzen große Subtilität, geraten trotz zum Teil heftigen Farbgewitters und -donners niemals geschwätzig oder gar formal ästhetisch. Es sind Augenerlebnisse, die man in kurzen Tagesmomenten verspürt: Momenten, in denen sich Botschaften von Wetter, Frost, Hitze äußerst direkt erleben lassen. Ingrid Brütschs Arbeiten verlassen die plakative Welt greller Botschaft und Sensation. Gerade das Undogmatische in ihren Werken fasziniert, öffnet Gefühle und Sensibilität  sich zu beteiligen und zu entdecken auf einem spannenden Weg, der da angeboten wird. Man muss ihn aber konzentriert begehen.

Ingrid Brütsch

Fiktive Landschaften

Ausgangsmaterial für meine Bilder sind unterschiedliche, teils halbtransparente Papiere, die malerisch, grafisch und drucktechnisch in einer Auseinandersetzung mit Farbwahl, Farbauftrag und Textur bearbeitet werden. Durch Reißen und Schneiden dieser Bögen entsteht im wiederholten Verwerfen und Finden möglicher Kombinationen der Teile Überraschendes. Aus Risskanten, Farbkombinationen und Texturen ergeben sich Bildideen, die weitergesponnen und in ihrer Charakteristik geschärft werden können …

Durch die Schichtung der Papiere bleibt der Entstehungsprozess in gewisser Weise nachvollziehbar und es kann eine spannende Schwebe zwischen der Wahrnehmung einer abstrakten Bildwirklichkeit einerseits und der Einladung zu Assoziation und Interpretation andererseits entstehen.
Die hier wiedergegebenen Collagen können als Landschaften interpretiert werden. Als imaginierte, fiktive Landschaften sind sie für mich ein spannendes und reiches Thema, das in der Realität wie im Bild Raum für Projektionen und Vorstellungen bietet und wie ein Resonanzboden für Stimmungen und Erinnerungen wirken kann.